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Beiträge mit Schlagwort ‘Christian Buschan’

QUO VADIS Homo bene figuratus (oXo) Eigenverantwortung

Eigenverantwortung als erste Bürgerpflicht?

David McLion

David McLion

“Ethik fragt nach den Grundsätzen und Prinzipien für ein bestimmtes moralisches Verhalten“ schreibt Joachim Kohlhof in einem Mail an David McLion – und weiter: „Sie sucht nach der methodisch geleiteten Besinnung und Begründung auf die faktisch geltende Moral. Sie ist und bleibt nichts anderes als die Lehre von der Verantwortung und versucht auch, diese zu begründen. Deshalb „verunsichert und irritiert“ die Ethik auch und ist deshalb potentiell „gefährlich“. Ethik ist dort angesiedelt, wo menschliche Konflikte sind und sie stellt vor allem nicht nur Bestehendes infrage, sondern fragt in erster Linie, wie Werte (unternehmerische, menschliche, kulturelle), Normen, d.h. kodifizierte Prinzipien und Haltungen, d.h. menschliche Verhaltensweisen begründet werden. Sie ist somit das Ergebnis von Reflexionen über unser Dasein und unser menschliches Miteinander im Leben, in den Unternehmen und in der Wirtschaft“.

Christian Buschan bringt es weiter auf den Punkt:

„Verantwortung ist der Preis der Freiheit (auch der Preis der Freiheit der falschen oder richtigen Entscheidung!)“.

Beim Versuch, das Thema Ethik so zu bündeln, dass es „Lust auf ein faires Miteinander“ macht, geht mir die Frage durch den Kopf: Ist ethisches Verhalten so etwas, das bereits im menschlichen Urgewissen kulturübergreifend implantiert ist, sozusagen als das Unterscheiden-können zwischen Gut und Böse? Wenn ja, dann müsste es doch lediglich „angestupst“ werden.

Die Frage, ob der Mensch von Grund auf gut oder böse ist zielt in die gleiche Richtung. Dieser Beitrag wird, will und kann es nicht beantworten. Allein die Frage sucht nach Antwort, wie eine Gesellschaft kulturübergreifend ange-sprochen werden kann, damit eigeninitiativ, das heisst vom einzelnen Bürger aus, sich verantwortliches Denken und Handeln in die Welt ausbreitet. Diese erste Bürgerpflicht muss ihm bereits in die Wiege gelegt werden, als sorgsam zu pflegendes Gut eines sozialen Gewissens oder auch einer spirituellen Intelligenz, interkulturell, interreligiös: „Ich bin verantwortlich“.

Statt immer mehr Regeln, Gesetze, Vorschriften von oben nach unten – mehr Eigenverantwortung, mehr Selbstverpflichtung, mehr Selbstdisziplin. Warum? Kinder, die es im frühen Alter gelernt haben, für ihre Handlungen und das, was um sie herum geschieht, selbst Verantwortung zu übernehmen, sehen sich als Teil eines Ganzen. Ihnen wird sehr früh bewusst, dass sie durch eigenes Handeln etwas bewirken können und lernen, mit dieser Erfahrung eigenverantwortlich umzugehen. Sie schauen hin, hinterfragen kritisch, sind interessiert, motiviert und fähig, an der Qualität ihres Umfeldes mit zu arbeiten. Verantwortung entwickelt sich so nicht als Bürde sondern als besonders ausgeprägte Stärke.

X-Membercard 2

«I am responsible» als Maxime für ein soziales Miteinander in Nachhaltigkeit – unabhängig von Bildungsstandard, Religionszugehörigkeit, kultureller Herkunft und gesellschaftlichem Status – setzt empathische Fähigkeiten voraus. Denn wer sich als mitverantwortlichen Teil eines Ganzen sieht und dementsprechend funktioniert, schützt die Familie, bringt sich aktiv ein in die Gesellschaft, achtet auf die Folgen seines Denkens und Handelns, ist kooperativ, weil über reine Machtausübung keine «I am responsible – Miteinander-Verantwortbarkeit» möglich ist. «I am responsible» respektiert das DU und schafft das WIR als Konsequenz aus dem eigenen Stehvermögen heraus. Ja, es fordert gleicher-massen das «I am responsible» des DU – und wo beide miteinander sich als Teil eines Ganzen sehen, entsteht synergetische Unabhängigkeit nach dem Motto „Gemeinsam eigenständig“. Was wollen wir mehr?

© David McLion 2012

© David McLion 2012

My home is my castle

Damit Sie, lieber Leser, die Null und die Eins in ihren zentralen Funktionen beim Bau eines noch jungen Weltbildes Ihren Kindern erklären können, hier ein letztes Beispiel:

Wenn wir uns die Welt einmal als ein aus Backsteinen gemauertes Eigenheim vorstellen und einzelne Backsteine als jeweils EIN-Stein, so entspricht der Fugen-Mörtel der NULL. Die Null verbindet, gleicht Spannungen aus, trägt Sorge dafür, dass das Ganze zusammenhält. Der Mörtel als Pufferzone, als Zwischenraum im Mauergefüge. Der Mörtel als das überspachtelte, unsichtbar verbindende Element. Und da wir schon gerade beim Mauern sind, dann vergleichen wir Maueröffnungen doch gleich mal mit Fenstern und Türen. Fenster gewähren sowohl Ausblick als auch Einblick, lassen Licht und Luft herein. Man öffnet sie, um Frische rein- und Abgestandenes rauszulasssen. Und Türen? Sie empfangen sowohl Gäste, laden ein, bitten herein – und bieten gleichsam Schutz vor ungebetenen Gästen…

Inhalt des Buches QUO VADIS Homo bene figuratus?

Serie „Gesundheitsforum“ (4)

Artikelserie
„Salutogenese – was uns gesund macht und erhält“

  Christian Buschan MSc

Das Gesundheit schaffende Eingreifen

Professionelle Helfer haben im Grunde nur drei Möglichkeiten, Einfluss auf das SOC zu nehmen. Die beiden ersten Varianten beschreiben zeitlich begrenzte, eher geringfügige Veränderungen, die dritte Variante jedoch bezieht sich auf einschneidende Modifikationen. Das erste Prinzip heisst Primum non nocere (lat.: Primär nicht schaden) – das elementar­ste Prinzip der Medizin. Eine der­artige Begegnung des Patient mit dem Helfer verändert sein Leben in der Regel kaum wesentlich. Zweitens können therapeutische Begegnungen so gestaltet werden, dass der Patient sich in ihnen als konsistent erlebt, dass seine Bela­stungen während dieser Begegnung ausgeglichen sind und dass er deren Bedeutungen versteht und akzeptiert. Auch dieses ist noch kein wesentlicher Fort­schritt.

Zum dritten und positivsten Fall: Die Möglichkeit einer vom Therapeuten geplanten Ver­besserung des SOC des Patienten. Eine Begegnung dieser Art ermöglicht den Patienten nicht nur, gemachte Erfahrungen neu zu interpretieren. Sie gibt ihnen zusätzlich das Rüst­zeug dafür in die Hand, innerhalb ihres eigenen Lebensbe­reiches konkrete Erfahrungen zu machen, die ihr SOC verbes­sern, anheben, ausbauen. Dieses therapeutische Vorgehen erleichtert und befördert eine lang anhaltende, konsistente und positive Veränderung in den realen Lebenserfahrungen der Patienten. Dabei kommt der sozialen Unterstützung eine zentrale Rolle zu. Neuere Daten deuten darauf hin, dass soziale Unterstüt­zung nicht nur abfedernde, sondern ganz direkte Effekte bei der Abwehr von Krankheiten hat (Lin, Woelfel und Light, 1985). Um in der eingangs verwendeten Metapher des Flusses zu blei­ben: Erstens sind die Flussläufe so zu gestalten, dass auch schlechten Schwim­mern ein sie nicht überforderndes Fortkommen ermöglicht wird. Und zweitens sollen sie unter opti­maler und gezielter Anleitung guter Therapeuten besser schwimmen lernen!

Das Entscheidende beim Mobilisieren von Ressourcen ist das starke Gefühl von Bedeut­samkeit. Menschen mit starkem SOC werden bei Konfrontationen mit Stressoren eher Engagement, Hin­gabe und Bereitschaft, sich mit dem Stressor auseinanderzusetzen, empfinden. Sie gehen unmit­telbar von der Annahme aus, dass sich diese Auseinanderset­zung lohnen wird, dass sie eher eine spannende Herausforderung ist als eine Last, vor der man fliehen sollte. Ein starkes SOC vermag in beliebigen Systemen angesichts von Chaos die Chance zu dessen Umwandlung in Ordnung zu erkennen. Diese Haltung schlägt durch bis auf die Ebene der biologischen Antwortmuster, z.B. in der Form einer messbar ver­stärkten Immunreaktion.

Antonovsky beschreibt drei zentrale mögliche „Kanäle“, über die das SOC Einfluss nimmt auf den Gesund­heitszustand, respektive auf die Position der Person auf dem Gesund­heits‑Krankheits‑Kontinuum:

Direkt über das Gehirn: Die Wahrnehmung der Welt als verstehbar, handhabbar und bedeutsam kann das Gehirn dazu anregen, anderen Körpersystemen direkt gesund­heitsfördernde Informatio­nen zukommen zu lassen (z.B. Stärken der Immunabwehr).

Durch die Auswahl gesundheitsfördernden Verhaltens: Mehr Reize werden als nicht stresshaft erlebt, profes­sionelle Hilfe wird eher aufgesucht und angenommen, gesund­heitsschädliches Ver­halten wird vermieden (z.B. Vermeiden von Abhängigkeit / Sucht).

Durch den erfolgreichen Umgang von Personen mit hohem SOC mit Stressoren. Dies führt gene­rell zu deut­licher Spannungsreduktion (z.B. Blutdrucksenkung) und damit zur Vermeidung von Schä­digung sowie zu emotionaler und physiologischer Verstärkung.


Zusammenfassung

Die salutogenetische Orientierung anerkennt und geht davon aus, dass Heterostase, Altern und fortschrei­tende Entropie die Kerncharakteristika aller lebenden Organismen sind. Die allgegenwär­tigen Stressoren werden nicht primär und nicht nur als krankma­chend gesehen, sondern als gesundheitliche Entwicklungs­chancen. Die Salutogenese lokalisiert den Menschen auf einem mehrdimensionalen Gesund­heits‑Krankheits‑Konti-nuum. Sie verhin­dert damit die einseitige Kon­zentration auf bloße krankmachende Fakto­ren wie Stressoren. Vielmehr zwingt sie uns, stets die gesamte Geschichte der Patienten zu suchen, zu betrachten und zu bedenken – ein­schließlich sei­ner eigentlichen Krankheit.

Diese Denkweise stellt die Copingressourcen des Menschen ins Zentrum unserer Auf­merk­sam­keit. Deswe­gen sucht sie auch nicht nach Wunderwaffen, sondern nach allen Quellen der negati­ven Entropie, die das aktive Anpassen des Organismus an seine Umgebung erleichtern oder för­dern können. Und letztlich vermag der salutogenetische Ansatz bereits vorhandene Krankheits­daten erwei­tert zu interpretie­ren, indem sie die abweichenden Fälle, die nicht Erkrankten ins Auge fasst und nach den gesundheitsför­dern­den Gründen für diese Abweichungen sucht.

Damit ist die salutogenetische Orientierung nicht einfach nur die Rückseite der pathoge­netischen Sichtweise. Sondern sie stellt zusätzliche und nicht selten entschei­dende Fra­gen, indem sie einen anderen Blickwinkel wählt und alter­native Hypothesen vor­schlägt. Sie eröffnet damit nicht nur grundsätzlich neue Wege, son­dern sie zwingt zur Konzentra­tion aller Kräfte auf das Weiterentwi­ckeln der Copingtheorie. Denn wer bis zum Ende seines Lebens seine Verhaltensmöglichkeiten laufend erweitert, wird seine Lebens­kurve sozusagen rechtwinklig beenden: Bis kurz vor dem end­gül­tigen Knick führt er oder sie ein Leben voller Vitalität. Erik­son hat in seinem Buch „Der vollstän­dige Lebens­zyklus“ 1982 gezeigt, dass die von ihm so genannte Inte­grität das strategische Schlüssel­element der letzten Lebensphase ist: Ein Empfinden von Kohä­renz und Ganzheit­lichkeit, welches sogar den endgültigen Verlust von Bindungen auszugleichen vermag. 

Originalartikel von Christian Buschan auf unserem Google-BLOG vom 12.08.2011

Serie „Gesundheitsforum“ (3)

Artikelserie
„Salutogenese – was uns gesund macht und erhält“

Christian Buschan

Christian Buschan MSc

Stressoren – die Stress erzeugenden Faktoren

Ein Stressor kann definiert werden als ein Faktor, der Entropie in ein System bringt. Unter Entropie verste­hen wir hier das Maß für den Grad der auf natürliche Weise ständig zunehmenden Unord­nung und Unge­wissheit in einem System. Entropie beschreibt gleich­zeitig den Grad der Nichtum­kehrbarkeit dieser Unord­nung. Entropie ist damit auch eine Lebenserfahrung, die gekennzeichnet ist durch Inkonsistenz (keinen Bestand habende, in sich selbst widersprüchliche Elemente), Unter‑ oder Überforderung und fehlende Teil­habe an Entscheidungsprozessen. Es gilt, drei Typen von Stressoren zu unterscheiden: Chroni­sche und zent­rale Lebensereignisse sowie die akuten tägli­chen Widrigkeiten. Dabei gilt es nicht zu vergessen, dass auch Nicht-Ereignisse (z.B. das Ausblei­ben einer Schwanger­schaft oder einer Beförderung) bedeutende Stressoren sein können.

In der Arbeitswelt interessiert oft primär das Ausmaß jener Arbeitsstressoren, welche das Berufs­leben nicht selten zur Vorhölle verkommen lassen: Hoher Arbeitsdruck, starke Kon­trolle durch Vorgesetzte, fehlende Autonomie und fehlende Klarheit. Im Gegensatz dazu muss aber immer auch das Ausmaß der Arbeitsres­sourcen abgeschätzt werden: Invol­viertheit in den Beruf, Zusam­menhalt unter Kolleginnen und Kollegen, Unterstützung durch Vorgesetzte.

Die salutogenetische Orientierung zwingt zur Konzentration auf das aktive Anpassen an die Umwelt, die mit Stressoren reichlich angefüllt ist. Ein hohes Ausmaß an Stressoren kann bei gleichzeitig hohem Maß an sozi­aler Unterstüt­zung sogar gesund­heitsfördernd sein (Nuckolls, Cassel, Kaplan 1972). So kann beispielsweise ein Schock sogar einen gesunden Einfluss auf den Organismus haben – vorausgesetzt, man kann ihm recht­zeitig entfliehen (Laudenslager et al 1983). Soziale Unterstützung wird hier wie ein Puffer ver­standen: Er vermindert auf Menschen gerechte Art und Weise die von den Stressoren ausgehenden Wirkungen auf ein erträgliches Maß. Damit verlang­samt soziale Unterstüt­zung ursächlich das Entstehen von Krankheit – oder sie ver­hindert Krankheiten unter Umständen sogar ganz! Die Hauptthese des salutogenetischen Modells ist, dass ein star­kes SOC entscheidend für erfolgreiches Coping mit den allgegenwärtigen Stresso­ren des Lebens und damit für den Erhalt der Gesundheit ist. In Stressituationen wird eine Person mit starkem SOC zwar nicht unbedingt glücklicher oder zufriedener sein als die mit einem schwa­chen SOC. Aber sie kann das Gefühl haben, dass sie mit den gegebenen Fakten so gut wie mög­lich umgeht und ihr Leben dennoch erträg­lich gestaltet. Für dieses besondere Gefühl des Wohlbe­fin­dens selbst im Leiden ist das SOC unmittelbar wichtig.

Die salutogeneti­sche Sichtweise ermöglicht damit eine Rehabi­litation der im menschli­chen Leben nicht weg­zudenkenden Stressoren. Der Schlüsselbe­griff dafür ist negative Entropie. Sie löst die Suche aus nach nützli­chen Inputs in das soziale System, in die physi­sche Umwelt, in den Orga­nismus – bis hinein in die einzelne Zelle! -, um dem unausweichli­chen Trend zur Entro­pie entge­genzuwirken. Vaillant, ein Psychiater, hat 1979 in einem Aufsatz die Ursachen beschrieben, wel­che die Gesundheit bis weit über das 50. Lebens­jahr hin­aus erhalten. Er fand, dass die Art, wie sich eine Person an Stres­soren anpaßt, dafür ent­scheidend sei. Und nicht etwa das Vermeiden von Stress oder ein bewusster Copingpro­zess! Hans Selye, der Begründer der Stressfor­schung, sagt gar: „Stress is the salt of life“! Viktor E. Frankl, Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, Begründer der Logotherapie und selber früherer Gefangener in Auschwitz, drückt es in sei­nem Buch „Das Leiden am sinnlosen Leben“ (Herder Spektrum 4859, S. 45) noch deut­li­cher aus: „Mehr Stress als in Auschwitz gab es wohl kaum irgendwo anders. Und gerade dort waren die typischen psychoso­matischen Krankheiten, die so gerne für stressbedingt gehalten werden, praktisch vom Erdboden verschwun­den“.

Die reifsten Anpassungsmechanismen an Stressoren umfassen Humor, Selbstlosigkeit oder Unei­gennüt­zig­keit (Altruismus), Verfeinerung (Sublimation) und echtes „Wegstecken“ (Suppression). Sie erleichtern den­jenigen, die sie nutzen, die Verbindung zu anderen Menschen; denn sie machen seine oder ihre soziale Umgebung vorhersehbarer und unterstützender. Eine weitere zentral wichtige Ressource ist das Durchhalte­vermö­gen. Es beschreibt die physi­sche und/oder moralische Kraft, die nötig ist, um Krankheit, Ermüdung oder Entbehrung nachhaltig zu widerste­hen – kurz: Ausdauer (lat. Stamina, von Stamen = Lebens­faden!).

Originalartikel von Christian Buschan auf unserem Google-BLOG vom 12.08.2011

Serie „Gesundheitsforum“ (2)

Artikelserie
„Salutogenese – was uns gesund macht und erhält“

Christian Buschan

Christian Buschan MSc

Das Kohärenzgefühl

Bereits die „Midtown Manhattan”-Studie von Leo Strole (1962, et al. 1980) beschreibt drei Schlüs­selres­sourcen, die beitragen zu einer Immunisierung gegenüber der potentiell zer­schmetternden Wucht extremer, von außen kommender Not: Eine stoische Kraft („Sei-erwachsen-Ethos“), enge Familienbindungen und ein Gefühl besonderer Gruppenidentität. Hätte Strole diese Ressourcen in Copinginstrumente umgesetzt, wäre das Konzept des Kohärenzgefühls wohl wesentlich früher entstanden. Der englische Begriff Coping meint „damit zurechtkommen, auf eine gute Art bewälti­gen“. Das Kohärenzgefühl ist ein durch­dringendes, dyna­misches Vertrauen in die eigene umfas­sende Lebensbefähigung. Es drückt nicht nur aus, wo man sich auf dem Gesund­heits‑Krankheits‑Kontinuum gerade befindet. Sondern es erlaubt auch eine Prognose darüber, zu welchem Pol hin man sich gerade bewegt.

Die drei zentralen Komponenten des SOC sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeut­sam­keit. Verstehbarkeit als die Möglichkeit, die Welt zu verstehen, ist dabei als Kernelement definiert: Sie ist zum einen das Aus­maß, in welchem man innere und äußere Reize verstandesmäßig als strukturiert, vorhersehbar, erklärbar und damit als sinnhaft wahr­nimmt. Zum anderen erlaubt Verstehbarkeit das Unterscheiden dieser Reize: Nämlich in die Gruppe der geordne­ten, nachhalti­gen, strukturierten und klaren Informationen sowie in die Gruppe der chaoti­schen, ungeordneten, willkürlichen, zufälligen und unerklärlichen Informationen. Selbst unvermittelt eintretender Tod, Krieg und Versagen sind erklärbar.

Handhab­barkeit ist definiert als das Ausmaß in dem man wahrnimmt, dass man über geeignete und ausrei­chende Ressourcen verfügt, um mit den Anforderungen der realen Welt fertig zu wer­den. Wer ein hohes Maß an Handhabbarkeit erlebt, fühlt sich zum Beispiel selten ungerecht behandelt oder gar in der Opferrolle.

Bedeutsamkeit schließlich repräsen­tiert inner­halb des SOC die motivationale Schlüssel­komponente: Sie beschreibt das Aus­maß, in dem man das Leben emotional als sinnvoll empfindet. Bedeutsamkeit liefert den Antrieb für das Verbessern des Ver­ständnisses der eigenen Welt und für das Verbessern der eigenen zur Ver­fügung stehenden Res­sourcen. Bedeutsamkeit schafft das Gefühl, dass die im realen Leben gestellten Prob­leme und Anforderungen es wert sind, nach Möglichkeit energisch gelöst zu werden.

Damit kann das SOC zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: Als eine alles umfassende Orientie­rung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat. Ein Vertrauen dar­auf, dass im Verlaufe des Lebens die inneren und äußeren Reize vorhersehbar, erklärbar und strukturiert sind. Dass einem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, um mit den Anforderungen, die von den genannten Reizen ausgehen, konstruktiv fertig zu wer­den. Und das Vertrauen darauf, dass die von den Reizen ausgehenden Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engage­ment lohnen. Das SOC ist damit eine dispositionale Orientierung und nicht etwa bloß ein Zustand oder eine Eigenschaft.

  • Das Erlangen und Aufrechterhalten eines starken Kohärenzgefühls ist jedoch an vier ulti­mative Bedingungen gebunden:
  • Die Person muss es für sich selbst bedeutsam finden, ihre eigenen Gefühle zu kennen und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen aktiv zu gestalten.
  • Sie muss es wichtig finden, sich mit der eigenen Tätigkeit identifizieren und sich existentiellen Fragen stel­len zu können.

Zu letzterem sind beispielsweise gemeint: Unausweichlicher Tod, unvermeidliches Scheitern, nicht wieder gut zu machende Fehler, unauflös­liche Konflikte und bedrückende Isola­tion. Wenn auch nur eine der vier ultimativen Bedingungen nicht aus­rei­chend erfüllt ist, kann sich kein dauerhaft starkes Kohärenz­gefühl einstellen oder erhalten.

Insbesondere die Forschungen zum Austritt aus dem Berufsleben zeigen, dass Flexibilität immer in Richtung beider Pole möglich ist: Personen mit starkem SOC können ohne grö­ßere Probleme ihre Berufsrolle allmäh­lich ausklingen lassen, während sie sich sozusagen fließend bereits in neuen Lebensbereichen wie kommu­naler oder künstlerischer Tätigkei­ten engagieren. Oder sich in bisher bereits früher aufgebauten und gepflegten Bereichen noch intensiver einbrin­gen.

Es gilt hier ernsthaft zu warnen vor dem so genannten „rigiden SOC“, einer pathologischen Aus­prägung des Kohärenzgefühls: Personen mit nur gespielt starkem, in Wirklichkeit jedoch schwa­chem SOC verbeißen sich verblendet in ihre (Gruppen-)Identität, um nur nicht den schrecklichen Ängsten in sich selbst zu begegnen, an denen sie gerade wegen ihres schwachen SOC leiden.Man könnte auch von Pseudointegration als Schutz gegen nagende Verzweiflung sprechen. Wer beispielsweise betont locker meint, alle Probleme ließen sich lösen, bricht früher oder später angesichts der Realitäten erschüttert und ver­zweifelt zusammen. Tiefeninter­views mit Mitgliedern radikaler und/oder fundamentalistisch orientierter Gruppen oder Sekten belegen dies mit zutiefst erschreckender Deut­lichkeit.

Originalartikel von Christian Buschan auf unserem Google-BLOG vom 12.08.2011

Serie „Gesundheitsforum“ (1)

Artikelserie
„Salutogenese – was uns gesund macht und erhält“

Christian Buschan

Eine Zusammenfassung für interessierte Laien

von Christian Buschan MSc

Zwischen vollkommener Gesundheit und tödlicher Erkrankung

Wir sind es gewohnt, auf Krankheitsursachen und -symptome zu achten. Mit der Sichtweise der Salutogenese von Aaron Antonovsky, einem Medizinsoziologen ausBrooklyn[1], vollziehen wir eine radikale gedankliche Kehrtwende. Wir behalten zwar im Auge, „dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt wenigstens ein Drittel und mit einer guten Wahrscheinlichkeit die Mehrheit der Bevölkerung einer modernen Industriegesellschaft sich in einem…morbiden, pathologischen Zustand befindet“. Wir fragen aber nicht mehr primär, was uns krank macht(e) und wie krank wir schon oder noch sind. Sondern wir fragen mit Antonovsky nach den die Gesund­heit fördern­den Res­sourcen, nach dem was uns gesund macht(e) und/oder ge­sund erhält. Seine Ant­wort auf die Frage nach den Ursprüngen der Gesundheit ist das von ihm entworfene Konzept des Kohärenzgefühls (Sense of Coher­ence, SOC). Er konnte seine zentrale These wissenschaftlich belegen, wonach das SOC mit dem Gesundheitszustand eines Menschen in ursächlichem Zusammenhang steht. 

[1] Sein Hauptwerk: Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltens­therapie; aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexa Franke 1997

Gesundheit und Krankheit – ein Kontinuum

Die zeitgenössische Medizin hat innerhalb ihrer überlieferten Sichtweise in aller Regel die „Fluss-abwärts-Perspektive“: Menschen schwimmen in einem oft reißenden Fluss voller spitzer Klippen, tödlicher Gefahren und unübersichtlicher Stromschnellen. Die westliche Medizin repräsentiert das hinge­bungsvolle, wohl orga­nisierte und tech­nisch hoch entwickelte Bemü­hen, möglichst viele Ertrinkende aus diesem lebens­bedrohli­chen Strom zu bergen, zu retten. Kaum je wird jedoch gefragt oder nachgese­hen, was stromaufwärts pas­siert(e). Warum all diese Leute überhaupt in den Fluss gestie­gen, gerutscht oder gefallen sind, wer sie viel­leicht gar hinein stieß oder warum sie sehr gut, überhaupt nicht oder nur unzurei­chend schwimmen kön­nen.

Der salutogenetische Ansatz sieht den Menschen zu jedem beliebi­gen Zeitpunkt sei­nes Lebens auf einer Art Gleitschiene zwischen „vollkom­mene Gesund­heit“ und „tödliche Erkrankung“. Damit liefert dieser Ansatz zwar nicht unmittelbare Pro­blemlösungen („Rettung“), aber er ver­hilft selbst bei schlechtester Prognose noch zu einem tiefgreifenden Verständnis und Wissen über das menschliche Leben. Dieser Ansatz verführt zum Nach­denken über jene Faktoren, die den Men­schen zum gesunden Pol hin bewegen können und ihn nach Möglichkeit auch dort halten sollen. Oder um beim Bild des Flusses zu blei­ben: Die Saluto­genese fragt nach den Gründen, warum gewisse Menschen nie in den Fluss steigen oder fal­len, warum sie sich nicht hin­einsto­ßen lassen, bewusst hinein steigen oder warum sie so gut schwim­men und sich sel­ber wieder heraushelfen können. Wir fragen mit Antonovsky: „Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?…Unter objektiv glei­chen Charakteristika des Flusses werden die Menschen unterschiedlich gut oder schlecht zurecht­kommen…Welches ist ihr Geheimnis?“ (Salutogenese, 92).

Originalartikel von Christian Buschan auf unserem Google-BLOG vom 12.08.2011