« M E H R W E R T – N E T Z W E R K »

Archiv für November, 2012

Verantwortungslose Wirtschaftsethik

Mail vom 20.11.2012 – Prof. Dr. Joachim Kohlhof  Schirmherr Vitao®Ethic-Community 

Erinnern wir uns.

Prof. Dr. Joachim Kohlhof
Prof. Dr. Joachim Kohlhof

Wir wundern uns bis heute, dass in den Chefetagen von Banken und Wirtschaftsunternehmen ethische Handlungsmaxime bisher so wenig Eingang gefunden haben. Bis auf wenige Ausnahmen können Wirtschaftsbosse mit ethischen Normen und Standards in ihrem täglichen Drang nach Gewinnmitnahmen und ihrer Gier nach noch mehr Einkommen, Boni und Remunerationen nichts anfangen. Ja, sie wissen häufig nicht einmal, womit sich Wirtschaftsethik überhaupt beschäftigt und ob das ein Thema ist, das sie überhaupt berührt.

Es ist erschreckend festzustellen, dass Betriebe und Organisationen, staatlicher und privater Provenienz der Ethik in ihrem täglichen Business nicht nur aus dem Wege gehen, sondern sie bewusst ignorieren und entsprechende Einwände von Mitarbeitern als Grund zur persönlichen Abstrafung benutzen. Wer Ethik im Betrieb von seinem Arbeitgeber einfordert, hat zumeist einen schweren Stand, auf der Hühnerleiter seiner Karriere rasch eine Sprosse höher zu kommen.

Auch in den Hochschulen wird die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit ethischen Fragen bis heute eher stiefmütterlich behandelt und nicht in den Kontext betriebswirtschaftlicher Überlegungen gestellt. Der notwendige übergreifende Spannungsbogen von Ethik und Betriebswirtschaft wird bewusst ausgeklammert, weil seine Spannkraft nicht erkannt, übersehen oder noch schlimmer noch negiert wird. Wenn einzelne Hochschulen sich rühmen, ethische Lehrprogramme in Bachelor oder Masterstudiengänge einzubauen, dann geschieht das zu recht, weil es immer noch eine Ausnahme ist. Sie  lässt nämlich erkennen, dass eine gedeihliche unternehmerische Zukunft ohne Ethik nicht denkbar ist. Wenn aber junge Absolventen kein einziges Mal während ihrer Hetze nach schnellem und gutem Examen keine Berührung mit unternehmensethischen Normen kennengelernt haben, dann sollte es nicht wundern, dass sie am Ende der Fahnenstange ihres beruflichen Werdegangs auch keine nennenswerte Defizite in ihren Handlungsmaximen erkennen. Was Hänschen nicht lernt, wird Dr. Hans in seiner Mitarbeiter- und Unternehmensführung kaum nachholen können.

Ernsthafte Versuche, auch Vorständen und Geschäftsführern ethische Umgangsformen näher zu bringen, scheitern oftmals daran, Rationalität, Sinn und Verstand mit Moral und Anstand in Einklang zu bringen. Das setzt bereits bei der Frage an, wo beginnen korruptive Machenschaften und ist das eigene Einkommen und dessen Absicherung im Hinblick auf die erbrachte oder zu erbringende Leistung überhaupt vertretbar und moralisch gerechtfertigt. Das Verhalten vieler Wettbewerber im Markt hat mehr mit Marktkampf, Marktstrategie und Marktsieg um ihrer selbst willen zu tun, als um eine dem Menschen und seinen Bedürfnissen dienende Vorgehensweise, die das Überleben aller sichert und nicht nur derer, die am Rüpelhaftesten in Presse, Medien und der Öffentlichkeit auftreten.

Wer die Ethik nicht kennt, kann auch nicht nach ethischen Tugenden handeln und nach ihnen bewertet werden. Langsam beginnt der Gedanke sich breit zu machen, jungen Leuten die Augen für maßvolles Verhalten, vertrauensbildende Verhaltensweisen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu öffnen. Wenn die Abweisung jeder persönlichen Verantwortung von Politikern, Ministern, Wirtschaftsführern zur ständig praktizierten und gewohnten Einübung wird, weil sie sonst mit haftungsseitigen Konsequenzen oder irgendwelchen Karriereeinbussen zu rechnen haben, darf es nicht wundern, dass diese üblen Vorbilder noch üblere Abziehbilder kreieren und Staat und Gesellschaft ihren Kredit verspielen.

Es wäre heute dringend notwendig den Investmentbankern, die täglich mit Milliardenbeträgen jonglieren, die Gefahren aufzuzeigen, die mit dem Abzocken fremder Gelder verbunden sind oder den Textilproduzenten mit ihren wunderschönen Einkaufspalästen ihre Manufakturstrategie in Bangladesh zu hinterfragen, wo es um minimale Centartikel geht, die für gutes Geld andernorts teuer verkauft werden. Ein Manager, der in jungen Jahren etwas über ethische Grundhaltungen während seiner Studien gehört hat, wird sich schwer tun, eine solche Geschäftsstrategie zu verfolgen.

In allen Bereichen unseres bunten Lebens liessen sich tausende von Beispielen finden, die unsere Welt immer ein bisschen schlechter machen und dabei keine Gewissensbisse bei Produzenten und Konsumenten entwickeln. Hierzu gehört die Bereitschaft zu einer positiven Konfliktkultur, der wir uns alle verweigern. Die immer wieder vorgetragene Entschuldigung, dass die Welt immer vernetzter und komplexer wird, und dass man sich aus diesem Geleitzug nicht entfernen könne, heißt im Umkehrschluss, wenn alle lügen und betrügen, müssen wir mitmachen, sonst gehen wir selbst unter. Wertschöpfung, das allzu sehr beschworene Credo unserer strapazierten Marktwirtschaft, wird dann zur Farce, wenn sie mit Mitteln erarbeitet wird, die unmenschlich, unsozial und ungerecht sind. Auf solche Wertschöpfungsprozesse sollten ethisch ausgerichtete Unternehmen und Unternehmer verzichten. Wenn unsere akademische Jugend und der handwerkiche Nachwuchs keine Chance haben zu erfahren, welche Gewinnpotentiale in fairen und anstandsgerechten Konfliktlösungen stecken, die auf Kooperation und Compliance fußen, dann können noch so viele Managementkonzepte erarbeitet werden, die am Ende alle fehlschlagen. Die vergangenen letzten zwanzig Jahre legen ein beredtes Zeugnis darüber ab, was gelehrt und was umgesetzt wurde. Nämlich engpassorientierte Konzeptionen, die immer nur einen Engpass im Fokus hatten und den mitarbeitenden Menschen lediglich als Mittel zum Zweck missbraucht haben.

EKS, Kaizen, lean management, um nur einige Theorien zu nennen, haben mehr verunsichert als sie den Unternehmen geholfen haben. Umgekehrt ist zu konstatieren, dass die Einhaltung ethisch selbst formulierter Codizes in betrieblichen und organisatorischen Gemeinschaften das Zusammenrücken der Mitarbeiter erheblich mehr gefördert hat, indem sie nach ihren Befähigungen eingesetzt wurden, so dass die meisten Beschäftigten ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt und niemand überfordert oder unterfordert wurde.

Der Wirkungsgrad einer Arbeitsgemeinschaft ist dann am höchsten, wenn die Friktionen am niedrigsten sind. Und daran zu arbeiten, ist eine der vornehmsten Aufgaben eines verantwortungsbewussten Managements. Dies wäre auch die Mühe von Hochschullehrern wert, die Studierenden auf diesen Weg zu bringen oder zumindest ihnen zu helfen, diesen Weg für sich und ihr Leben zu erkennen und einzuschlagen. Dann kehrt die Ethik wieder dorthin zurück, wo sie herkommt, indem sie versucht, den ganzen Bereich menschlichen Handelns und Wirtschaftens zu umfassen und menschengerecht zu steuern.

Mail vom 20.11.2012 – Prof. Dr. Joachim Kohlhof  Schirmherr Vitao®Ethic-Community